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99. Wolfram von Eschenbach, ›Parzival‹

Bearbeitet von Gabriel Viehhauser

KdiH-Band 9

Der Versroman ›Parzival‹ von Wolfram von Eschenbach gehört zu den bedeutendsten Erzähltexten des Mittelalters. Um 1200/1210 verfasst und über weite Strecken auf der französischen Vorlage von Chrétien de Troyes beruhend, verbindet der Text keltischen Artusstoff mit religiöser Gralthematik. Im Mittelpunkt steht der zunächst tumbe Parzival, der von seiner Mutter in einer Waldeinöde aufgezogen wird, damit ihm das Schicksal seines Vaters Gahmuret erspart bleibt, der in exzessiver Verfolgung des ritterlichen Ideals im Kampf gefallen ist. Dennoch folgt Parzival seinem inneren Drang nach Ritterschaft, wird zum Artusritter und trifft sogar auf die mythenumwobene Gralburg, die seine Bestimmung darstellt. Doch da er dort die berühmte Mitleidsfrage an den verwundeten Gralkönig Anfortas nicht stellt, wird er zunächst noch nicht zu dessen Nachfolger bestellt, sondern muss sich neuerlich auf Ausfahrt begeben und dabei auch seinen Zweifel an Gott überwinden. Allein durch dessen Gnade gelingt es Parzival schließlich, zum zweiten Mal zur Gralburg vorzudringen und schließlich doch die Herrschaft über den Gral zu erlangen.

Diese Haupthandlung ist im ›Parzival‹ mit zahlreichen weiteren Handlungssträngen verknüpft, in denen Gegensätze wie jene von religiöser und weltlicher Sphäre, Orient und Okzident und unterschiedliche Minne-Modelle verhandelt werden. Neben der Vorgeschichte von Parzivals Vater Gahmuret stellt dabei der ausgeprägteste dieser Handlungsstränge die Geschichte des Artusritters Gawan dar, die nahezu ebenso viel Platz wie die Parzival-Geschichte in Anspruch nimmt und kunstvoll in die Haupthandlung verwoben ist (grob lässt sich der ›Parzival‹ daher in die Abschnitte Gahmuret-Vorgeschichte – Parzival I – Gawan I – Parzival II – Gawan II – Schluss gliedern).

Die große Bedeutung des ›Parzival‹ zeigt sich schon darin, dass der Text der am häufigsten überlieferte höfische Roman des deutschen Mittelalters ist. Er wurde vom 13. bis ins 15. Jahrhundert hinein immer wieder neu abgeschrieben und hat sogar eine Frühdruckausgabe erlebt (1477 von Johann Mentelin, Nr. 99.0.a.). Heute sind (neben der Inkunabel) noch 16 (annähernd) vollständige Handschriften und über 70 Fragmente erhalten.

Neben den Sonderfällen der großen Sankt Galler Epenhandschrift D aus dem 13. Jahrhundert (St. Gallen, Cod. Sang. 857, Nr. 99.0.6.) mit zwei historisierten Initialen und der aus dem 14. Jahrhundert stammenden Handschrift Z (Heidelberg, Cod. Pal. germ. 364, Nr. 78.0.2.), in der spätere Benutzer auf einem freien Blatt Figuren eingemalt haben, für die Textbezug vermutet werden kann, sind Illustrationen zum ›Parzival‹ in zwei vollständigen Handschriften des 13. Jahrhunderts und in vier Handschriften des 15. Jahrhunderts vorhanden: In der Handschrift G (München, Cgm 19, Nr. 99.0.5.) und der Handschrift O (München, Cgm 18, Nr. 99.0.4., hier ist vom offensichtlich umfangreicher geplanten Bildprogramm allerdings nur eine Illustration ausgeführt worden) sowie in den drei Handschriften aus der Werkstatt des Diebold Lauber, m (Wien, Cod. 2914, Nr. 99.0.7.), n (Heidelberg, Cod. Pal. germ. 339, Nr. 99.0.3.) und o (Dresden, Mscr.Dresd.M.66, Nr. 99.0.2.) und der Handschrift R (Bern, Cod. AA 91, Nr. 99.0.1.). Auch für den Druck war offensichtlich eine Bebilderung vorgesehen, die dafür ausgesparten Freiräume sind jedoch in keinem der heute noch erhaltenen ca. 45 Exemplare ausgefüllt worden.

Diese auffällige zeitliche Verteilung korrespondiert zumindest zum Teil mit unterschiedlichen Einrichtungstypen: Während in den Handschriften des 13. Jahrhunderts die Bilder weniger Platz als eine Seite einnehmen (bzw., im Fall von O, einnehmen sollten), dominieren im 15. Jahrhundert ganzseitige Illustrationen (in der für die Lauber-Werkstatt typischen Manier in den drei Handschriften m, n und o, aber auch teilweise in der Handschrift R; lediglich im Druck waren nur einspaltige, kleinere Illustrationen vorgesehen). Anders als in den Handschriften des 13. Jahrhunderts sind in allen Textzeugen des 15. Jahrhunderts die Illustrationen mit Überschriften versehen, welche sich (wohl durchaus intendiert) multifunktional als Bildbeschreibungen bzw. -anweisungen, aber auch als Kapitelüberschriften lesen lassen.

In Handschrift O (Nr. 99.0.4.) war die Bebilderung textbegleitend und höchst umfangreich angelegt. So finden sich im heute erhaltenen Teil der Handschrift, der nur ca. die ersten zwei Drittel des Textes enthält, nicht weniger als 103 spaltenübergreifende Aussparungen zu Beginn oder am Ende der Seite, die offensichtlich mit durch Querleisten getrennten Doppelbildern gefüllt werden sollten. Hochgerechnet auf den ganzen Text würde dies bedeuten, dass wohl ungefähr 150 solcher Bildstreifen vorgesehen waren. Ausgeführt wurde davon jedoch lediglich das erste Doppelbild, das dem Text entsprechend vermutlich die Aufbahrung von Gahmurets Vater Gandin sowie die Herrschaftsübernahme von Gahmurets Bruder Galoes zeigt. In den zweiten Bildfreiraum wurde später, im 15. Jahrhundert, eine (nicht zu Ende geführte) Federzeichnung eingefügt, danach finden sich keine Illustrationen mehr.

Handschrift G (Nr. 99.0.5.) repräsentiert demgegenüber einen anderen Einrichtungstypus: Hier befinden sich die Bilder auf einem eigens in den Text eingefügten Doppelblatt, das in drei horizontale Register geteilt ist. Vorhanden sind demnach vier Seiten zu drei Bildern, insgesamt also zwölf Illustrationen. Auch hier könnte ursprünglich an ein reichhaltigeres Bildprogramm gedacht worden sein oder waren mehr Bilder ursprünglich vorhanden, die später entfernt wurden, da das eingefügte Doppelblatt nur Szenen vom Ende des ›Parzival‹ darstellt, die noch dazu erst etwas später im Text erzählt werden als an der Stelle, an der das Doppelblatt eingefügt ist. Die Bilder sind recht deutlich auf den Text bezogen, einzelne Figuren tragen Namensbänder, die ihre Identifizierung erleichtern. Gezeigt werden in mehreren Szenen die Versöhnung zwischen Gramoflanz und Gawan am Hof des König Artus, der Bruderkampf zwischen Feirefiz und Parzival sowie deren gemeinsamer Ritt mit Kundrie zur Gralburg und das Wiedersehen Parzivals mit seiner Familie. Auffällig ist die letzte Darstellung, die in einem Doppelbild offensichtlich die Taufe des Feirefiz sowie dessen Zerschlagung einer Götzenstatue zeigen soll. Diese wohl als Abschlussbild gedachte Darstellung hebt ein einzelnes Detail aus dem komplexen Schluss des ›Parzival‹ hervor und gibt damit dem Bildprogramm eine Abrundung, welche die religiöse Dimension des Textes und das conversio-Motiv betont.

Eine Verwandtschaft zwischen den Bildprogrammen des ›Parzival‹ besteht nur im Fall der drei Lauber-Handschriften m, n und o, die auch textlich näher zusammengehören. In der Werkstatt wurde zunächst wohl eine Kapitelgliederung mit Überschriften vorgenommen (bzw. auf ein solchermaßen gegliedertes Exemplar zurückgegriffen), die sich offenbar grob an bereits früher etablierten Großgliederungssystemen der ›Parzival‹-Überlieferung orientiert hat. Diese Kapitelgliederung diente vermutlich als Ausgangspunkt für eine erste Grundschicht der Illustrierung, die zwar nicht bis ins Detail, aber zumindest grob textbezogen ausgefallen ist. Eine solche erste Phase der Aneignung dürfte über weite Strecken die Handschrift m repräsentieren. Im Programm von m (Nr. 99.0.7.) ist die Haupthandlung um Parzival zwar stärker akzentuiert als die Gahmuret-Vorgeschichte oder die im Text fast gleichwertige Gawan-Parallelhandlung, doch lassen sich viele der Bildmotive konkret am Text festmachen, so dass von einem zumindest partiellen Bemühen um die Darstellung der Texthandlung auszugehen ist. Schon in m selbst wurde diese textbezogene Gliederung aber offensichtlich um sogenannte Situationsetiketten erweitert (zum Begriff Saurma-Jeltsch [2001]), die in einer für die Vorgangsweise der Werkstatt typischen Weise repräsentative höfische Szenen mit zum Teil nur assoziativem Textbezug darstellen. Ankunft-, Aufbruch-, Gespräch- und Kampfszenen begegnen außerordentlich häufig und greifen auf stereotyp wirkende Bildformeln zurück, die auch in anderen Codices der Lauber-Werkstatt in ganz anderen Textzusammenhängen zum Einsatz kommen.

Diese Tendenz dürfte in den Handschriften n (Nr. 99.0.3.) und o (Nr. 99.0.2.) erheblich weiter ausgearbeitet worden sein, weshalb die Zahl der Illustrationen gegenüber m mit 25 Bildern in n auf 64 Darstellungen angewachsen ist (der umgekehrte Fall, dass Handschrift m eine bewusste Reduktion auf textbezogene Bilder vollzogen hat, scheint demgegenüber weniger wahrscheinlich). In o sind heute 46 Bilder vorhanden, allerdings wurden hier, wie Textverluste an den entsprechenden Stellen belegen, nachträglich fertige Bildseiten entfernt, so dass ähnlich wie in n von einer ursprünglichen Zahl von 63 (vielleicht sogar 64) Bildern auszugehen ist. In n und in o sind die einzelnen Bildüberschriften in Lauber-typischer Weise mit einer Zählung versehen worden, die – aufgrund des Doppelcharakters der Rubriken als Kapitel- bzw. Bildüberschriften – in einem eigenen Inhalts- bzw. Bildverzeichnis aufgelistet wurden (sicher in n, in o sind nur mehr Teile eines Inhaltsverzeichnisses erhalten, die am Ende in den Codex eingebunden worden sind).

Die Berner Handschrift R (Nr. 99.0.1.) stellt eine Art Mischform zwischen den beiden Einrichtungstypen aus dem 13. und dem 15. Jahrhundert dar: Im ersten Teil des Codex begegnen 20 Darstellungen, die weniger Platz als eine Seite einnehmen und zum Teil als Doppel- oder Mehrfachbilder konzipiert waren. Sie akzentuieren insbesondere den ersten Teil der Parzival-Handlung, von Parzivals Kindheit bis zur gattungstypischen Krise des Helden. Mit der Beschuldigung Parzivals am Artus-Hof bricht das Bildprogramm zunächst ab. Erst ab dem zweiten Teil der Gawan-Handlung finden sich dann wieder Bilder, die jetzt aber in der vielleicht als moderner empfundenen Manier ganzseitig ausgeführt wurden. Sie illustrieren zunächst in einem ersten Block von vier Bildern die Ereignisse um Gawans Kampf auf Schastel Marveile und seine Beziehung zu Orgeluse und dann schließlich in einem zweiten Block von ebenfalls vier Darstellungen den Kampf und die Versöhnung von Parzival und Feirefiz sowie den gemeinsamen Ritt mit Kundrie zum Gral.

Zwar sind die Bilder von R durch die Einfügung von Details deutlich textbezogener als etwa die Situationsetiketten der Lauber-Handschriften, doch zeigen sich in R immer wieder auch deutliche Diskrepanzen zwischen den Bildüberschriften und den ausgeführten Bildern, die nicht nur inhaltliche, sondern auch strukturelle Eigenheiten der Bildgestaltung betreffen (die Rubriken geben etwa im ersten Teil genau an, in welcher Aufteilung die Gestaltung von Mehrfachbildern ausgeführt werden sollte bzw. machen entsprechende Vorschläge, was vom Illustrator aber teilweise ignoriert wird). Diese Unstimmigkeiten sind deshalb in der Forschung (insbesondere Curschmann [1992a]) als Ausdruck einer generellen Unsicherheit der Hersteller der Handschrift über die genaue Anlage des Bildprogramms interpretiert worden.

Im Mentelin-Druck W (Nr. 99.0.a.) sind 33 Aussparungen für Bilder vorgenommen worden (32 mit Kapitel- bzw. Bildüberschrift, die erste Aussparung für eine farbig ausgeführte Initiale; in manchen Exemplaren ist diese Initiale eigenständig, also ohne in erkennbarer Weise auf ein ›Verlagsmuster‹ Bezug nehmend ausgeführt worden, etwa im Exemplar Dresden, Ink.1542.2). Ein ›Verlagsprogramm‹ für die Illustrationen gab es wohl nicht (Mentelin ist bereits ein Jahr nach Anfertigung des Drucks verstorben, was die Zusammenstellung eines solchen Programms verhindert haben könnte, es könnte aber auch schlicht an Vorbildern für ein Bildprogramm des ›Parzival‹ gemangelt haben), individuelle Ausführungen des Bildprogramms sind nicht erhalten bzw. bekannt. Geht man nach den freigelassenen Bildräumen, so ist am Programm insbesondere dessen frühes Ende auffällig, die letzte Aussparung begegnet schon fast 7000 Verse vor dem Textende.

Eine umfangreiche Texterweiterung hat der ›Parzival‹ in der Handschrift V (bzw. deren unvollständig erhaltener Abschrift V’ in Karlsruhe, Cod. Donaueschingen 97) erfahren: Die im 14. Jahrhundert entstandene und nach ihrem Entstehungsort bzw. den Auftraggebern als ›Rappoltsteiner Parzifal‹ benannte Bearbeitung verbindet den Wolfram’schen ›Parzival‹ mit dem ›Nuwen Parzifal‹, einer Kompilation von Fortsetzungen zum ›Perceval‹-Roman Chrétiens de Troyes in deutscher Übertragung. Zwischen die Teile eingewoben ist ein Florilegium einiger Minnestrophen, das mit einer historisierten Initiale eingeleitet ist (Karlsruhe, Cod. Donaueschingen 97, 115v; vgl. Stoffgruppe 76. Liedersammlungen, Nachtrag in KdiH-DB). Der ›Parzival‹-Teil ist ebenso wie der ›Nuwe Parzifal‹ mit Überschriften gegliedert, Illustrationen waren jedoch (abgesehen von gelegentlich auftretenden Tierzeichnungen in der Fleuronné-Verzierung ohne erkennbarem Textbezug) für die erzählenden Passagen keine vorgesehen.

Die französische Hauptvorlage von Wolframs ›Parzival‹, der ›Perceval‹-Roman Chrétiens de Troyes, ist in 15 vollständigen Handschriften und drei Fragmenten überliefert. Fünf dieser Handschriften sind ausführlicher textbezogen illustriert (M, P, S, T und U, vgl. Busby [1988]), weitere Handschriften wie z. B. B weisen figürliche Eingangsinitialen auf (vgl. Ott [1992c]). In der französischen Tradition sind eigenständige Bildprogramme, die über die Illustrierung von Initialen hinausgehen, erst nach den frühesten deutschsprachigen bebilderten Zeugen (G und O) nachzuweisen. Engere ikonografische Beziehungen zur deutschen Überlieferung dürften nicht bestanden haben.

Siehe auch:
  • Nr. 127. Albrecht, ›Jüngerer Titurel‹