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93.8. Dominikanische Schwesternbücher von Töss, St. Katharinental und Ötenbach und die Chronik des Inselklosters St. Michael in Bern

Bearbeitet von Christine Stöllinger-Löser

KdiH-Band 9

Mittelalterliche deutsche Vitensammlungen von Dominikanerinnen (sog. Schwesternbücher) sind aus zehn süddeutschen Klöstern bekannt. Sie entstanden seit dem 14. Jahrhundert und wurden vor allem im 15. Jahrhundert ergänzt und verbreitet. In diesen Zusammenhang gehören die Schwesternbücher der drei bedeutendsten schweizerischen Dominikanerinnenklöster, Töss bei Winterthur, St. Katharinental bei Diessenhofen im Thurgau und Ötenbach in Zürich, die zusammen mit der Klosterchronik von St. Michael in Bern in einer zweibändigen Handschrift auch gemeinsam überliefert sind. Ein Grundcorpus von Viten wurde jeweils im Kloster selbst von einer oder mehreren Schwestern erstellt. An der Tösser Sammlung war Elsbeth Stagel, die geistliche Tochter Heinrich Seuses (geb. um 1300), zumindest in den Anfängen als Autorin beteiligt. In einem längeren Prozess wurden die Textcorpora jeweils durch verschiedene Personen erweitert bzw. redaktionell überarbeitet. Zwei der Schwesternbücher werden durch eine Gründungsgeschichte des betreffenden Klosters eingeleitet. Die chronikartig präsentierten Sammlungen von meist kurzen Viten verstorbener Schwestern dienen als Dokumentation der geistlichen Tradition ihres Klosters, der aszetischen Lebensweise und der mystischen Erfahrung einzelner Nonnen; sie wurden als hagiografisch inspirierte Vorbilder zur Belehrung und Erbauung der Nachfolgerinnen gestaltet und sind von ihrem Konzept her auf stetige Ergänzungen angelegt.

Die beiden erhaltenen Bände der Sammlung entstammen der Bibliothek des Dominikanerinnenklosters St. Katharina in Nürnberg, wo sie auch entstanden sind. Diese Zusammenstellung entstand aus dem Bedarf an vorbildhafter Literatur für die reformorientierten dominikanischen Nonnenkonvente im 15. Jahrhundert; sie wurde ursprünglich durch den Basler Dominikaner und Ordensreformer Johannes Meyer (1422−1485) geschaffen. Er bearbeitete die vorhandenen älteren Viten sowohl formal als auch inhaltlich im Sinne seiner reformprogrammatischen Absichten, wobei er die mystisch-visionären Erlebnisse der Nonnen mit vorsichtiger Zurückhaltung kommentiert und die traditionellen klösterlichen Tugenden hervorhebt. Dazu ergänzte er die Sammlungen um weitere Texte, darunter die Tösser u. a. um eine Vita Elsbeth Stagels (zu Johannes Meyer siehe auch Nr. 97.2.).

Nur die zweibändige Nürnberger Abschrift aller drei Schwesternbücher zusammen mit der ›Chronik von St. Michael in Bern‹ ist durch figürliche Illustrationen hervorgehoben. Diese sind sehr unterschiedlich über die beiden Bände und deren Texte verteilt: 23 der insgesamt 30 historisierten Initialen finden sich in Bd. 1 (davon entfallen 22 auf den Tösser Teil; das ›St. Katharinentaler Schwesternbuch‹ ist nur zu Beginn des Prologs mit einer Initiale geschmückt, die die Klosterpatronin darstellt), sieben in Bd. 2 (darin drei im Ötenbacher Teil, vier gelten dem Berner Kloster). Die figurierten Initialen stehen jeweils zu Beginn der Viten oder sonstiger Abschnitte, die mit einem lateinischen Bibelzitat eingeleitet werden. Ob bereits die nicht erhaltene Vorlage der Nürnberger Sammlung ähnlichen Schmuck aufwies, ist nicht sicher erschließbar; es ist aber anzunehmen, dass die Bilder als Arbeiten der Nonnen von St. Katharina zu den Texten von Johannes Meyer ohne Vorlagen entstanden sind (In Nürnberg illuminiert [2015] S. 37 [Sauer]). Trotz der entschärfenden Textbearbeitung Johannes Meyers thematisieren die Abbildungen in einigen Fällen aszetische Praktiken wie Selbstgeißelungen (Margret Willin, Elsbeth von Oye) und visionäre Erlebnisse der Nonnen wie die Stillung der Adelheit von Frauenberg (Űthilt von Frőbenberg) an der Brust Mariens, den Herzenstausch der Mechthild von Stans mit einem Engel oder Margaret von Zürich, die das Jesuskind badet; die Mehrzahl aber wird einfach als stehende oder kniende Figur im Nonnenhabit präsentiert; Elsbeth Stagel, als einzige am Schreibpult dargestellt, entspricht der Vorstellung, die Heinrich Seuse von ihr als Mitautorin entwirft und die Meyer in seiner Vita weiterentwickelt hat (vgl. Hamburger [1998] S. 465f.). Männliche Autoritätspersonen fehlen in den Bildern vollständig; dem korrespondiert der Anspruch auf unmittelbaren physischen und verbalen Kontakt der einzelnen Schwester zu Gott und seinen Heiligen als Grundthema der Viten, der auch in den Bildern manifest wird.

Zur illustrierten Handschrift Überlingen, Leopold-Sophien-Bibliothek, Ms. 22 (sie enthält u. a. das Tösser und das ›St. Katharinentaler Schwesternbuch‹, weist aber nur in einem anderen Teil der Handschrift Freiräume für Illustrationen auf) siehe Nr. 25.3.4. (›Christus und die minnende Seele‹); vgl. auch Heitzmann (2002) S. 61−63.

Andere Handschriften mit einzelnen Schwesternbüchern weisen nur durch einfaches Fleuronné verzierte Initialen auf (z. B. Frauenfeld, Kantonsbibliothek Thurgau, Cod. Y 74, geschrieben nach 1424, und St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 603, Ende 15. Jahrhundert, beide mit dem ›St. Katharinentaler Schwesternbuch‹; Abb. bei Meyer [1995] S. 57, 60f.). An den Beginn der St. Katharinentaler Gründungsgeschichte, die in ursprünglicher Gestalt auch außerhalb des Schwesternbuches – in der Pergamenthandschrift Berlin, Ms. germ. quart. 1254, 1. Hälfte 14. Jahrhundert, 83va−94vb – überliefert ist, ist in wesentlich späterer Zeit außerdem eine Miniatur aus einer Pergamenthandschrift des 14. Jahrhunderts eingeklebt worden, die jedoch ohne Textbezug ist: S-Initiale auf Goldgrund, mit der Marter des hl. Laurentius; vgl. Wegener (1928) S. 6f.; Meyer (1995) S. 73−76, S. 74 Abb. einer Fleuronné-Initiale am Textbeginn.

Editionen:

Töss: Vetter (1906a). – St. Katharinental: Birlinger (1887); Meyer (1995) S. 97−181 (nach der Leithandschrift St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 603, S. 163a−368a, 444a−571b). – Ötenbach: Zeller-Werdmüller/Bächtold (1889). – Vita der Adelheit von Freiburg: Schneider-Lastin (2000) S. 528–558. – Vita der Elsbeth von Oye (u. a.): Schneider-Lastin (2009) S. 405−448, 456−467.

Literatur zur Überlieferung und zu den Texttraditionen: Grubmüller (1969a); Grubmüller (1980a); Neumann (1980); Fechter (1987); Dinzelbacher (1989); Haas (1995); Schneider-Lastin (1995); Schneider-Lastin (2000); Thali (2002); Engler (2004); Schneider-Lastin (2004a); Schneider-Lastin (2004b).

Literatur zu den Illustrationen:

Siehe unter Nr. 93.8.1.